Newsletter September 2024

Fortgewährung von Zulagen nach Eintritt in die Freistellung nach § 38 BetrVG

BAG Urteil vom 28.8.2024 – 7 AZR 197/23 und 7 AZR 198/23


Die Parteien streiten über die Höhe der Vergütung nach Eintritt in die Freistellung als Betriebsratsmitglied nach § 38 BetrVG.

Die beiden Kläger waren als Rettungssanitäter in einem gemeinnützigen Verein tätig. Beide sind ausschließlich in Wechselschicht tätig und erhielten entsprechende Wechselschichtzulagen sowie Zulagen für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit. Außerdem nahmen sie an Rufbereitschaften teil, für die sie entsprechende Pauschalen erhielten. Für beide gilt, dass sie Mitglieder des Betriebsrats waren und sind.

Im Laufe der Amtszeit beschloss der Betriebsrat die beiden gem. § 38 BetrVG zunächst teilweise und einige Wochen später jeweils vollständig von der Arbeitsleistung freizustellen. Die Tätigkeit als freigestelltes Betriebsratsmitglied nahmen sie sodann immer von montags bis freitags zu den üblichen Bürozeiten wahr. Der Arbeitgeber zahlte ab diesem Zeitpunkt weder die Zulagen für Wechselschicht und Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit noch die Rufbereitschaftspauschale. Er begründete dies damit, dass diese Zulagen einen Ausgleich für erschwerte Arbeitsbedingungen darstellen. Diese erschwerte Arbeitsbedingungen seien aber mit dem Eintritt in die Freistellung für die Betriebsratsarbeit weggefallen, so dass diese nicht fortzuzahlen sind. Ferner sei mit der Freistellung für Betriebsratstätigkeiten eine Arbeitszeitänderung vereinbart worden. Die beiden Kläger sind der Auffassung, dass ihnen die Fortgewährung auf der Grundlage des § 37 Abs. 2 BetrVG zustehe. Denn Betriebsratsmitglieder sind von der beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien. Außerdem sehen sie in der Streichung der Entgeltbestandteile eine Benachteiligung als Betriebsratsmitglieder gem. § 78 Satz 2 BetrVG. Sie haben daher die Vergütungsbestandteile eingeklagt. Zudem habe es keine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über die Veränderung der Arbeitszeit gegeben; vielmehr müsse die Betriebsratstätigkeit in der Tagschicht erfolgen, da viele Sitzungen tagsüber stattfinden, viele Beschäftigte in der Tagschicht arbeiten und auch der Arbeitgeber schließlich in der Regel nur tagsüber erreichbar sei.

Das Arbeitsgericht und auch das Hessische Landesarbeitsgericht hat deren Klagen abgewiesen. Beide Vorinstanzen gingen davon aus, dass mit dem Eintritt in die Freistellung eine Arbeitszeitänderung eingetreten sei, die dazu führe, dass die Arbeit nun nicht mehr so belastend sei. Hierdurch entstehe zwar eine „gewisse Benachteilung“. Diese sei aber nicht durch die Betriebsratsarbeit bedingt, sondern berufhe au der geänderten Arbeitszeit.

Die Revision der beiden Kläger führte nun zur Aufhebung der Vorinstanzen. Das BAG führt aus, dass die Kläger so zu stellen sind, als wären sie ihrer arbeitsvertraglichen Tätigkeit nachgegangen. Es gelte das Lohnausfallprinzip. Im konkreten Fall komme es daher nicht darauf an, dass sie seit der Freistellung nur noch zu den üblichen Bürozeiten tätig sind. Es komme daher nicht auf die Belastungen an, die sie nun während der Freistellung nach § 38 BetrVG haben. Sondern es komme konkret darauf an, welche Tätigkeiten sie hätten, wenn sie nicht freigestellt wären. Das sind im konkreten Fall Wechselschicht sowie Rufbereitschaft. Das BAG betont nochmals, dass das Betriebsratsamt ein unentgeltliches Ehrenamt ist und für sich genommen keinen Vergütungsanspruch auslöst. Das BetrVG will aber sicherstellen, dass niemand wegen der Übernahme von Betriebsratstätigkeiten eine Lohn- und Entgelteinbuße hinnehmen muss. Daher bleibe der Anspruch auf die Wechselschicht-, Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge sowie die Rufbereitschaftspauschale bestehen, unabhängig davon, ob die mit diesen Tätigkeiten verbundenen Erschwernisse während der Freistellung bestehen oder nicht.

Da in den Vorinstanzen nicht hinreichend ausführlich festgestellt wurde, in welchem Umfang die Zuschläge fortzuzahlen sind, hat das BAG das Verfahren an das LAG zurückverwiesen.

Das BAG hat mit seiner Entscheidung das Lohnausfallprinzip im Rahmen des § 38 BetrVG im bisherigen Umfang ausdrücklich aufrechterhalten und hat damit die Rechtsposition der freigestellten Betriebsratsmitglieder vor entsprechenden Einschränkungswünschen aus dem Kreis der Arbeitgeber zurückgewisen.


Vorrang der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung

LAG Urteil vom 20.06.2023, 4 Sa 20/23


Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Beendigungskündigung. Hintergrund ist, dass die Arbeitgeberin, die jeweils ein Altenheim in jeweils einer anderen politischen Gemeinde betreibt, das eine schloss. Die Klägerin war als Pflegefachkraft in dem zu schließenden Haus tätig. In dem anderen Altenheim, das – wie bereits dargestellt – in einer anderen politischen Gemeide liegt, waren Stellen für Pflegekräfte frei. Dennoch sprach die Arbeitgeberin der Klägerin eine betriebsbedingte Kündigung aus, ohne ihr die Stelle als Pflegekraft in der anderen Einrichtung anzubieten. Sie ging dabei davon aus, dass die Klägerin selbst dann, wenn sie eine angebotenen Stelle annehmen würde, in absehbarer Zeit eine Eigenkündigung aussprechen werde, da sie eine wohnortnähere Stelle finden werden.

Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage und begründete diese insbesondere damit, dass Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten bei der Arbeitgeberin bestünden. Sie verwies darauf, dass ihr diese freien Stellen nicht im Vorfeld angeboten wurden. Im Verlauf des Kündigungsschutzprozesses wurde der Klägerin dann die Stelle angeboten, die sie jedoch ablehnte.

Dennoch hat die Klägerin das Kündigungsschutzverfahren gewonnen. Denn, so das LAG, das Angebot einer freien gleichwertigen oder zumutbaren Stelle im Sinne des § 1 Abs. 2 KüSchG müsse vor Ausspruch der Kündigung erfolgen. Das Nachholen des Weiterbeschäftigungsangebots im Kündigungsschutzprozess könne die ausgesprochene Kündigung nicht heilen. Und selbst dann – so das LAG weiter – wenn die Klägerin das Angebot endgültig abgelehnt habe, sei eine Beendigungskündiugng unwirksam, wenn eine entsprechende Stelle vorhanden sei. Denn eine Änderungskündigung sei immer das mildere Mittel und damit vorrangig vor einer Beendigungskündigung auszusprechen. Denn nur bei Ausspruch einer Änderungskündigung habe die betroffene Beschäftigte überhaupt die Möglichkeit, sich rechtlich verbindlich über das Alternativangebot zu entscheiden, in dem sie diese ablehne oder annehme – mit oder ohne Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung.

Die Entscheidung des LAG ist wenig überraschend, denn sie entspricht der langjährigen Rechtsprechung des BAG zum Verhältnis der beiden Kündigungsarten. Offensichtlich orientiert sich die betriebliche Praxis hieran häufig nicht.


Kein Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG in Fällen der Wartezeitkündigung

ArbG Hamburg Urteil vom 4.07.2024, 29 Ca 110/24


Die Klägerin wurde als kaufmännische Angestellte bei einer Wohnungsbaugenossenschaft ab dem 16.10.2023 eingestellt. Dort sind deutlich mehr als 10 Beschäftigte tätig. Es besteht zudem ein Betriebsrat.

Der Betriebsrat wurde von der Arbeitgeberin am 28.2.2024 zu einer ordentlichen Kündigung währen der „6-monatigen Probezeit“ angehört. Die Anhörung begründet sie unter anderem damit, dass die Einarbeitung sich als zäh und mühsam gestaltet und die Arbeitsleistung der Klägerin deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibe. Man habe den Eindruck, die Tätigkeiten überfordern sie auf Dauer und auch die angebotenen Unterstüzungen und Anleitungen seien nicht fruchtbar und man sehe keinerlei Fortschritte.

Entsprechend den Anforderungen des § 102 Abs. 2 S. 4 BetrVG nahm der Betriebsrat Kontakt zu der Klägerin auf. Er erfuhr, dass diese mit einem Grad von 100 schwerbehindert sei. Daraufhin teilte der Betriebsrat diesen Umstand an die Arbeitgeberin mit. Taggleich am 1.3.2024 reagierte die Arbeitgeberin und ergänzte die Betriebsratsanhörung, in der sie mitteilte, dass ihr die Schwerbehinderung nicht bekannt sei, die Beschäftigte sich auf hierauf ihr gegenüber zu keinem Zeitpunkt berufen habe. Die neue Erkenntnis über die Schwerbehinderung führe aber nicht zu einer veränderten Einschätzung der Beschäftigung, weshalb man am Kündigungsbegehren festhalte.

Der Betriebsrat widersprach sodann mit Schreiben vom 5.2.2024 der Kündiung und begründete dies damit, dass eine Stelle als Allround-Sachbearbeiterin in der Abteilung Beratungsservice frei sei. Die Arbeitgeberin kündigt das Arbeitsverhältnis und zeigte dies auch gem. § 173 Abs. 4 SGB IX gegenüber dem zuständigen Integrationsamt an.

Die Klägerin wehrte sich gegen die Klage, erhob einerseits Kündigungsschutzklage und stellte gleichzeitig einen auf § 102 Abs. 5 BetrVG gestützten Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens.

Das Arbeitsgericht hat die Klage vollständig abgewiesen. Die Kündigung sei rechtswirksam. Es gelte weder das Kündigungsschutzgesetz noch die Sonderkündiungsschutzregelungen des § 168 SGB IX, da die sechs monatige Wartezeit noch nicht erfüllt sei. Gründe, die die Kündigung nach § 242 BGB als unwirksam erscheinen lassen, habe die Klägerin nicht dargelegt, so dass diese auch nicht gegen Treu und Glauben verstoße.

Der Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG könne in Fällen der noch nicht abgelaufenen Wartezeit nicht gelten. Zwar stelle der Wortlaut darauf ab, dass ein solcher gegeben sei, wenn die betroffenen Beschäftigten Kündigungsschutzklage erheben. Nach der Gesetzesänderung des Kündigungsschutzgesetzes unterfallen nunmehr alle Kündigungen, auch die Wartezeitkündigungen oder Kündigungen im Kleinbetrieb, der drei-wöchigen Klagefrist des § 4 KüSchG. Dies war früher anders, denn diese Frist galt nur für die Fälle, in denen sich die betroffenen Beschäftigten auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung beriefen, also auf solche Gründe, die vom KüSchG umfasst sind. Das Widerspruchsrecht des Betriebsrats nach § 102 Abs. 3 BetrVG sei dieser Sozialwidrigkeitsprüfung nachgebildet. Aus dieser Gesetzeshistorie sei zu schließen, dass der Weiterbeschäftigungsanspruch nach den Regelungen des § 102 Abs. 5 BetrVG auch nur auf bei diesen Kündigungen, also denjenigen nach Ablauf der Wartezeit und denjenigen außerhalb der Kleinbetriebe, gelten solle. Es würde nämlich zu Wertungswidersprüchen führen – so das Arbeitsgericht – wenn der Weiterbeschäftigungsanspruch auf für Wartezeitkündigungen gelte, denn dann könne das Privileg, das mit der Wartezeit verbunden sei, vereitelt werden. Zudem sei der Arbeitgeber mit zusätzlichen Belastungen, z.B. der Notwendigkeit einer einstweiligen Verfügung zur Befreiung vom Beschäftigungsanspruch, belastet, die gerade durch die Wartezeit des KüSchG und des SGB IX vermieden werden sollen.

Fazit: Das Arbeitsgericht Hamburg ist erkennbar das erste Gericht, dass eine solche Entscheidung veröffentlicht hat. Sie geht eindeutig zu Lasten der Beschäftigten und schwächt auch die Rolle des Betriebsrats. Sie fügt sich aber ein in die Rechtsprechung des BAG zur reduzierten Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat bei Anhörungen zur Wartezeitkündigungen nach § 102 BetrVG. Ob Berufung eingelegt wurde, konnte ich leider nicht rausbekommen und sollte beobachtet werden.

Regina Steiner
Silvia Mittländer
Erika Fischer

Fachanwältinnen
für Arbeitsrecht

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