Interessante Entscheidungen Betriebsrätekonferenz Juli 2025
1. Übersicht über die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei beruflichen Bildungsmaßnahmen
§ 96 BetrVG stellt als gemeinsame Aufgabe der Betriebsparteien die Förderung der Berufsbildung auf. Im Rahmen der Personalplanung haben Arbeitgeber und Betriebsrat die Berufsbildung der Arbeitnehmer:innen zu fördern.
Auf Verlangen des Betriebsrats hat dabei der Arbeitgeber den Berufsbildungsbedarf zu ermitteln und diesen mit dem Betriebsrat zu beraten.
Kommen die Betriebsparteien im Rahmen der betrieblichen Beratungen nicht zu einer Einigung, können Arbeitgeber und/oder der Betriebsrat eine Einigungsstelle zur Vermittlung anrufen. Diese hat eine Einigung zu versuchen; einen Spruch kann sie nicht treffen.
§ 97 BetrVG geht noch ein kleines Stück weiter und gibt dem Betriebsrat ein Beratungsrecht über
•die Errichtung und Ausstattung betrieblicher Einrichtung zur Berufsbildung,
•die Einführung betrieblicher Berufsbildungsmaßnahmen
•und die Teilnahme an außerbetrieblichen Bildungsmaßnahmen.
In § 98 BetrVG ist dann festgelegt, wie konkret das Beratungs-, Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrecht ausgestaltet ist. Nämlich:
Bei der Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung hat der Betriebsrat ein umfassendes Mitbestimmungsrecht (Abs. 1 in Verbindung mit Absätzen 3 und 4 BetrVG).
Bei der Bestellung einer/eines Ausbilder:in im Rahmen der von betrieblichen Bildungsmaßnahmen hat der Betriebsrat ein Widerspruchsrecht und kann unter bestimmten Voraussetzungen deren/dessen Abberufung verlangen und auch arbeitsgerichtlich durchsetzen (Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5).
In Bezug auf außerbetriebliche Maßnahmen der beruflichen Bildung steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht über den Teilnehmendenkreis zu (Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4).
Wie sich aus § 98 Abs. 6 BetrVG ergibt, ist der Begriff der betrieblichen Bildung weit auszulegen.
2. Handlungsmöglichkeiten bei Festlegung des Teilnehmendenkreis bei außerbetrieblicher Bildungsmaßnahmen
BAG vom 18.3.2014 – 1 ABR 77/12:
Ein Arbeitgeber beantragte beim Betriebsrat die Entsendung des Beschäftigten N zu einer Schulung, die von der IHK angeboten und durchgeführt wurde, und auf der vertiefte Kenntnisse aus dem Logistikbereich (rechtliche Regelung in Bezug auf Versendung gefährlicher Stoffe) vermittelt wurden. Der Arbeitgeber stellt chemische Grundstoffe her, die er weltweit verkauft. N ist im Logistikbereich tätig. Der Betriebsrat hat der Entsendung widersprochen und gleichzeitig sechs andere Beschäftigte benannt, die er vorrangig auf die Schulung entsenden will. Daraufhin beantragte sowohl der Arbeitgeber erneut die Freistellung des N, als auch der N für sich selbst. Diesen zweiten Antrag lehnte der Betriebsrat wiederum ab und schlug weitere Beschäftigte vor. Die Arbeitgeberin stellte den N frei, der an der Schulung teilnahm.
Als der Betriebsrat hiervon Kenntnis erhielt, richtete er ein Schreiben an die Arbeitgeberin und an den N, dass die Schulungsteilnahme ohne seine Zustimmung erfolgt sei und dies eine Verletzung seines Mitbestimmungsrechts darstelle. N entschuldigte sich beim Betriebsrat und teilte mit, dass er zukünftig nur noch an Schulungen mit dessen Zustimmung teilnehmen werde. Die Arbeitgeberin äußerte sich gegenüber dem Betriebsrat gar nicht.
Daraufhin beantragte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht, es zu unterlassen, Beschäftigte auf Schulungen der vorstehenden Art zu entsenden, ohne zuvor seine Zustimmung bzw. die der Einigungsstelle eingeholt zu haben.
Die Arbeitgeberin meinte, ein Unterlassenanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG sei vorliegend nicht gegeben, da es sich um einen einmaligen Verstoß gehandelt habe und insoweit nicht von einem groben Verstoß auszugehen sei.
Dies hat das BAG so nicht gesehen und dem Betriebsrat vollumfänglich Recht gegeben. Zunächst hat es ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 98
Abs. 3 BetrVG bejaht; es handele sich um eine außerbetriebliche Bildungsmaßnahme bei der die Arbeitgeberin den betroffenen Beschäftigten freigestellt habe. Das verpflichte die Arbeitgeber, die Zustimmung des Betriebsrats ggf. der Einigungsstelle einzuholen. Zwar ist dies vorliegend der erste Verstoß gegen das konkrete Mitbestimmungsrecht, jedoch könne auch ein einmaliger Verstoß als ein grober Verstoß angesehen werden, sofern die Besonderheiten des Einzelfalls eine solche Wertung rechtfertigen. Dies sei vorliegend gegeben, denn die Arbeitgeberin ging – wie sich aus dem wiederholten Antrag ergebe – selbst davon aus, dass dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zur Seite stehe. Sie selbst habe somit keine rechtlichen Zweifel gehabt. Die Entschuldigung nach der Schulungsteilnahme kam erkennbar von N, nicht aber von der Arbeitgeberin, so dass diese ihr auch nicht zugutegehalten werden könne.
Ferner habe der Betriebsrat sich nicht darauf beschränkt, dem Vorschlag der Arbeitgeberin lediglich zu widersprechen. Vielmehr hat der Betriebsrat konkrete Vorschläge für die Teilnahme anderer Beschäftigter gemacht.
BAG vom 30.5.2006 - 1 ABR 17/05:
In einem ähnlich gelagerten Fall, bei dem ein Redakteur ohne Zustimmung des Betriebsrats für die Teilnahme an einer Schulung zu Fragen der praktischen Arbeit eines Redakteures freigestellt wurde, stellte der Betriebsrat keinen Unterlassensanspruch, sondern einen Feststellungsanspruch dahingehend, dass ihm bei der Entsendung zu derartigen Schulungen ein Mitbestimmungsrecht zustehe.
Die rechtliche Zulässigkeit eines solchen Feststellungsanspruchs hat das BAG grundsätzlich bejaht. Es hat dabei aber zu erkennen gegeben, dass ein solcher Feststellungsantrag konkretisiert gestellt werden müsse und sich nicht allgemein auf Mitbestimmungsrechte bei der beruflichen Bildung beziehen dürfe. Da die Regelung des § 98 BetrVG mehrere Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte umfasse, müsse der Betriebsrat stets darauf achten, dass er das von ihm ins Auge gefasste Mitbestimmungsrecht im Antrag genau beschreibe.
Im Ergebnis ging das Verfahren verloren, aber nur deshalb, weil eine Tendenzeigenschaft des Redakteurs nach §118 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG vorliege, welche das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausnahmsweise ausschließe.
Hinweis für die Betriebsräte: Im Ergebnis hätte der Betriebsrat in beiden Fällen auch (entweder zusätzlich oder aber ausschließlich) eine Einigungsstelle über die Festlegung des Teilnehmendenkreises beantragen und durchführen können. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn es sich nicht um einmalig durchgeführte Schulungen handelt, sondern diese mehrfach oder in bestimmten Turnussen wiederholt werden.
3.Handlungsmöglichkeiten bei Durchführung von betrieblichen Bildungsmaßnahmen
BAG 18.4.2000 - 1 ABR 28/99
Eine Klinik, die ausschließlich im Bereich der Kardiologie tätig ist, wollte Gesundheits- und Krankenpfleger ausbilden. Da sie diese Ausbildung nicht allein durchführen konnte, da sie weder die theoretische Ausbildung noch Teile der praktischen Ausbildung durchführen konnte, schloss sie mit einem Verbundverband diverser Kliniken und drei weiteren Kliniken einen Kooperationsvertrag. Hiernach übernahm der Verbundverband die theoretische Ausbildung in dessen Krankenpflegeschule. Die Teile der praktischen Ausbildung, die die Klinik nicht selbst übernehmen konnte, absolvierten die Auszubildenden in den anderen drei Kliniken. Die Auszubildenden waren in der kardiologischen Klink angestellt, die die Ausbildung auch vollständig vergütete.
Erst nach Beginn der Ausbildung erfuhr der Betriebsrat, dass die Krankenpflegeschule kurz vor Ende der Probezeit eine Prüfung durchführte; wer diese nicht bestand, konnte die Ausbildung nicht fortsetzen. Daher leitete der Betriebsrat ein arbeitsgerichtliches Verfahren ein, und beantragte, festzustellen, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Durchführung der Ausbildung im Rahmen eines Kooperationsvertrags zustünde.
Die Arbeitgeberin lehnte dies ab und argumentierte, dass es sich mit Blick auf die beanstandete Zwischenprüfung um eine außerbetriebliche Bildungsmaßnahme handele, die nicht der Mitbestimmung unterliege.
Diese Argumentation lehnte das BAG ab. Es ging davon aus, dass die Berufsausbildung auch dann eine betriebliche Bildungsmaßnahme ist, wenn diese durch mehrere Träger durchgeführt werde. Um eine betriebliche Bildungsmaßnahme handele es sich immer dann, wenn diese von der Arbeitgeberin selbst gestaltet oder getragen und für eigene Arbeitnehmer:innen durchgeführt werde. Träger der Maßnahme ist eine Arbeitgeberin dann, wenn sie die Maßnahme selbst oder mit Dritten durchführt oder auf den Inhalt und die Durchführung wesentlichen rechtlichen oder tatsächlichen Einfluss habe. Dies sei vorliegend durch die Gestaltung des Kooperationsvertrags zu bejahen, und zwar nicht nur in der Hinsicht, wie die Aufgaben während der Ausbildung verteilt seien, sondern auch dahingehend, dass die Arbeitgeberin wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung des Kooperationsvertrags hatte.
Im Ergebnis hat das BAG den Antrag dennoch zurückgewiesen, denn das Mitbestimmungsrecht sei ein Gestaltungsrecht, das in die Zukunft wirkt und somit die Vergangenheit (also die laufende Ausbildung) nicht beeinflussen könne. Aber im Rahmen eines zukünftigen Kooperationsvertrags sei ein Mitbestimmungsrecht gegeben, sofern auch weiterhin ein prägender Einfluss der Arbeitgeberin vorliege.
4.Rückzahlungsvereinbarungen
BAG vom 9.7.2024 – 9 AZR 227/23
Die Arbeitgeberin verlangte von der bei ihr zuvor beschäftigten Dual-Studierenden die aufgewendeten Studienkosten, bestehend aus Studienzulage, Studienentgelt, Studiengebühren sowie notwendigen Fahrt- und Unterbringungskosten beim Besuch der auswärtigen Hochschule im Umfang von knapp über 8.000,00 € zurück.
Die ehemals Dual-Studierende hatte unmittelbar nach Abschluss des Ausbildungsteils den Ausbildungs- und Studienvertrag gekündigt. In diesem Vertrag war eine Rückzahlungsvereinbarung enthalten, die die Studierende zur Rückzahlung der oben genannten Beträge verpflichtete, und zwar unter anderem für den Fall des Ausspruchs einer Kündigung durch die Arbeitgeberin, sofern diese auf einem Verschulden der Studierenden beruft oder des Ausspruchs einer Eigenkündigung der Studierenden, die nicht durch einen wichtigen Grund gem.
§ 626 BGB begründet sei.
Die ehemalige Dual-Studierende war der Meinung, dass diese Rückzahlungsklausel unwirksam sei, da sie aufgrund des Umstands, dass nur Eigenkündigungen, die durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt seien, unangemessen benachteiligt werde.
Dieser Argumentation schloss sich schließlich das BAG an. Der Ausbildungs- und Studierendenvertrag sei ein Vertrag, der der AGB-Kontrolle vollständig unterliege. Daher ist dieser vollständig nach dem Normenprogramm der §§ 307 ff BGB zu überprüfen, somit seien auch die Rückzahlungsgründe vollständig überprüfbar.
Die Rückzahlungsgründe müssen dabei stets differenzieren nach dem Verantwortungs- und Risikobereich der Beteiligten bei Beendigung des Ausbildungsverhältnisses oder des Arbeitsverhältnisses während der Bindungsdauer. Dies sei hier in der oben stehenden Klausel nicht vollständig erfolgt. Denn es würden auch Konstellationen einer Eigenkündigung erfasst, die im Risikobereich der Arbeitgeberin liegen und somit nicht zu einer weitergehenden Bindung rechtfertigen. So erfasse die Klausel auch Eigenkündigungen, die in der Risikosphäre der Arbeitgeberin liegen, die nicht die Schwelle des wichtigen Grundes nach § 626 BGB erreichten, die aber dennoch eine Eigenkündigung der Dual-Studierenden als berechtigt angesehen werden können. So sei etwa denkbar, dass die Arbeitgeberin von ihr versprochene Studienkosten nicht oder nur mit erheblicher Verzögerung zahle und hierdurch eine Ausbildung im theoretischen Teil der Hochschule erschwere oder gefährde. Ein solches Verhalten müsste eine Dual-Studierende keineswegs hinnehmen, erfülle aber wohl nicht die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes. In solchen Fällen jedoch zur Rückzahlung verpflichtet zu sein, benachteilige die Dual-Studierende unangemessen, weshalb die Klausel gem. § 307 BGB unwirksam sei.
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