Newsletter April 2023

Es liegt keine Benachteiligung vor, wenn ein schwerbehinderter Beschäftigter zu einem Online-Bewerbungsgespräch eingeladen wird.

LArbG Hamm vom 21.07.2022 - 18 Sa 21/22


Der öffentliche Arbeitgeber ist verpflichtet schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 165 S. 3 SGB 9). Dies trifft den privaten Unternehmer nicht gleichermaßen. Dennoch ist die Frage, ob ein schwerbehinderter Bewerber benachteiligt wird, wenn das Bewerbungsgespräch online durchgeführt wird, auch für private Unternehmen von Interesse.

Ein schwerbehinderter Bewerber hatte geklagt, weil er nur zu einem Online-Bewerbungsgespräch eingeladen worden ist. Er sah sich dadurch benachteiligt und verlangte eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Für eine Benachteiligung nach dem AGG müssen durch den Bewerber Indizien dargelegt werden, die auf eine Benachteiligung schließen lassen.

Das LArbG Hamm hat zunächst klargestellt, dass auch ein Online-Bewerbungsgespräch ein Bewerbungsgespräch ist. Denn für ein Vorstellungsgespräch ist es ausreichend, dass die fachliche und persönliche Eignung des Bewerbers vermittelt werden kann. Das ist auch online möglich, so das LAG, wenn das Gespräch störungsfrei verläuft. Ob ein persönliches Gespräch diesen Eindruck nicht weitaus besser vermitteln kann, stand hier nicht zur Diskussion. Denn der Arbeitgeber hatte alle Bewerber nur zur einem Online-Gespräch eingeladen und keine persönlichen Gespräche geführt. Damit lagen keine Indizien dafür vor, dass ausgerechnet der schwerbehinderte Bewerber schlechtere Chancen für das Vorstellungsgespräch erhalten hatte als die anderen Bewerber. Das LArbG Hamm hat deshalb eine Benachteiligung abgelehnt.

Problematisch könnten solche Gespräche aber unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes sein. Denn man kann kaum von einer Freiwilligkeit sprechen, wenn der Bewerber ausschließlich die Möglichkeit hat sich online vorzustellen. Er hat keine andere Wahl und muss in die Datenverarbeitung einwilligen, wenn er eine Chance auf die Arbeitsstelle haben möchte. Unter diesem Gesichtspunkt ist eher davon auszugehen, dass Vorstellungsgespräche nicht online geführt werden dürfen. Mit diesem Gesichtspunkt hat sich das LArbG Hamm aber nicht beschäftigt.


Eine innerbetriebliche Stellenausschreibung kann nicht nachgeholt werden, wenn der Arbeitgeber bereits eine Entscheidung zur Besetzung der Stelle getroffen hat.

BAG vom 11.10.2022 1 ABR 16/21


Ein Arbeitgeber hatte mehrere Versetzungen in einem Betrieb vorgenommen. Dazu hatte er den Betriebsrat angehört nach § 99 BetrVG. Der Betriebsrat hat den Versetzungen widersprochen, weil die Stellen nicht innerbetrieblich ausgeschrieben waren ( § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG). In der ersten Instanz hat der Arbeitgeber das Verfahren mit der Begründung verloren, dass die Stellenausschreibung nicht stattgefunden hat. Daraufhin hat er die Stellenausschreibung während des Beschwerdeverfahrens in der 2. Instanz vor dem LArbG nachgeholt. Und das Beschlussverfahren gewonnen. Das BAG hat die Entscheidung jedoch aufgehoben und dem Betriebsrat recht gegeben.

Eine unterbliebene Stellenausschreibung kann nicht mehr während eines Gerichtsverfahrens nachgeholt werden, mit dem der Arbeitgeber erreichen möchte, dass das Gericht die fehlende Zustimmung des Betriebsrats ersetzt.

Das BAG stellte klar, dass unzureichende Informationen des Betriebsrats noch nachgeholt werden können. Ist der Betriebsrat im Wege des Anhörungsverfahren nicht ordnungsgemäß gehört worden, weil Informationen nicht weitergegeben wurden, kann dieser Mangel noch geheilt werden. Liegt aber ein Zustimmungsverweigerungsgrund vor, sind Versäumnisse des Arbeitgebers nicht mehr zu heilen. Die innerbetriebliche Ausschreibung dient der Belebung des innerbetrieblichen Stellenmarktes. Diese ist nicht mehr möglich, wenn die Stelle bereits besetzt worden ist.

Ist die innerbetriebliche Stellenausschreibung trotz Verlangens des Betriebsrats unterblieben, kann dieser Mangel nicht mehr im Beschlussverfahren geheilt werden, die personelle Maßnahme ist aufzuheben.


Äußerungen in einer privaten Chatgruppe rechtfertigen keine Kündigung auch wenn sie an sich geeignet wären eine Kündigung zu rechtfertigen

LArbG Hannover vom 19.12.2022 15 Sa 285/22


Ein Beschäftigter hat sich in einer Chatgruppe rassistisch und äußerst menschenverachtend geäußert (z.B. "erst den Polakken umnieten, der ist der Schlimmste"; "ja die Moslems sind dem gemeinen Juden recht ähnlich was die Geschäfte angeht", "was wollte die polnische Verräterfotze mit ihrer Scheißmail eigentlich sagen" usw.). Der Chatverlauf umfasst 316 Seiten. Es finden sich Äußerungen gegen Polen, Juden und Moslems, sowie Androhung von Gewalt und sexistische Äußerungen. Die Chatgruppe umfasste sieben Mitglieder. Eines der Mitglieder zeigte den Chatverlauf dem Betriebsratsvorsitzenden, der den Verlauf kopierte und selbst in der Gruppe angegriffen wurde.

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin. Die Kündigungsschutzklage war für den rassistischen Beschäftigten erfolgreich. Das LArbG Hamm wertete den Chatverlauf wie ein privates Gespräch. In privaten Gesprächen, die vertraulich geführt werden, dürfen ansonsten strafbare Äußerungen wie Beleidigungen, Verleumdungen oder volksverhetzende Inhalte geäußert werden. Das bleibt so lange ohne Konsequenzen solange der Betreffende nicht damit rechnen muss, dass das Gespräch offenbart wird und auf die Vertraulichkeit vertrauen durfte.

Bei einer Chatgruppe von sieben Personen sieht das LArbG die Vertraulichkeit gewahrt. Es stört sich auch nicht an der Tatsache, dass der Chatverlauf aufgezeichnet wird und damit auch über Jahre hinweg, abrufbar ist.

Das Urteil ist zu kritisieren. Es ist zwar richtig, dass das vertrauliche Gespräch geschützt werden muss. Es kann aber nicht richtig sein, dass ein Chatverlauf bei dem die Teilnehmer des Chats es nicht in der Hand haben, ob das Gespräch vertraulich bleibt, wie ein Gespräch zu behandeln ist. Bedenklich ist auch die Anzahl der Personen, die an dem Gespräch beteiligt waren. Das LArbG Hannover ist zu fragen, wie groß eine Chatgruppe sein darf, dass ein solches "Gespräch" noch vertraulich ist.

Den Gewaltandrohungen in dem Chatverlauf hat das LArbG keine Ernsthaftigkeit beigemessen.

Allerdings wurde die Revision zum BAG zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob das BAG dem Chatverlauf ebenfalls die Vertraulichkeit zubilligt.





Regina Steiner
Silvia Mittländer
Erika Fischer

Fachanwältinnen
für Arbeitsrecht

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