Newsletter Dezember 2023

Auskunftsanspruch des Arbeitgebers in Bezug auf Bewerbungsbemühungen nach erfolgter Kündigung des Arbeitsverhältnisses

LAG Köln, Urteil vom 27.04.2023, 8 Sa 793/22


Vorbemerkung: Hintergrund der Entscheidung ist die seit einiger Zeit in der Rechtsprechung viel diskutierte Pflicht des gekündigten Arbeitnehmers, der sich gegen die Kündigung zur Wehr setzt, auf Annahmeverzugslohn. Dieser entsteht in der Zeit nach Ablauf der Klagefrist bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsschutzverfahrens. Wenn die betroffenen Beschäftigten den Kündigungsschutzprozess gewonnen haben, aber nicht beschäftigt wurden, haben sie rückwirkend einen Anspruch auf die entgangene Vergütung. Hierbei müssen sie sich aber das anrechnen lassen, was sie anderweitig verdient haben oder hätten verdienen können (§ 11 KüSchG). Das BAG hat hierzu mit seiner Entscheidung vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19 erste Hinweise gegeben, wie konkret die Mitwirkungspflichten der betroffenen Beschäftigten sein müssen, damit nicht von einem böswilligen Unterlassen von Zwischenverdienst ausgegangen werden kann und darauf hingewiesen, dass es aus dem Recht der Arbeitslosigkeit eine sozialversicherungsrechtliche Obliegenheit gibt, die auch im Arbeitsrecht herangezogen werden kann. Diese Entscheidung des BAG ist nunmehr Ausgangspunkt für die vielfältige Diskussion in den Unterinstanzen.

Vorliegend hat ein Beschäftigter nach rechtskräftigen Gewinnen seines Kündigungsschutzprozesses um Vergütungsansprüche im Wege des Annahmeverzugs für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Wiederaufnahme der Tätigkeit.

Der Arbeitgeber behauptete, der Beschäftigte habe es böswillig unterlassen, sich um eine anderweitige Tätigkeit zu bemühen. Der Beschäftigte trug vor, er habe sich durchgehend um eine anderweitige Beschäftigung bemüht, von der Agentur für Arbeit jedoch nur unzumutbare Vermittlungsvorschläge erhalten und darüber hinaus stets eigenen Bemühungen vorangetrieben, die leider erst spät, nämlich 1 ½ Jahre nach Ende der Kündigungsfrist erfolgreich waren.

Der Arbeitgeber verlangte im Wege der Widerklage nun Auskunft über sämtliche Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit sowie darüber hinaus über sämtliche Vermittlungsbemühungen des Beschäftigten außerhalb der Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit. Sie benötige diese Auskünfte, um beurteilen zu können, ob der Beschäftigte sich tatsächlich ausreichend bemüht habe.

Die Vorinstanz aber auch das LAG gaben der Auskunftsklage des Arbeitgebers nur zum Teil Recht. Stattgeben wurde der Auskunftsanspruch in Bezug auf die durch die Agentur für Arbeit vorgeschlagenen Vermittlungsangebote. Diese müsse der Beschäftigte nicht nur vorlegen, sondern auch mitteilen, wie er sich hierzu verhalten habe. Denn dies sei der Umfang zu der er auch sozialversicherungsrechtlich verpflichtet sei, sich hiermit zu befassen.

Darüber hinaus dürfe der Arbeitgeber seine Auskunft aber nicht auf „jede weitere Vermittlungsbemühung“ erstrecken. Denn diese Auskunft sei nicht nur als ein Globalantrag unzulässig, sondern könne auch dazu führen, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten in eine überobligatorische Bewerbungspflicht dränge. Ein ggf. sich monatelang hinziehender Kündigungsschutzprozess mit ungewissem Ausgang dürfe nicht dazu führen, dass der betroffene Beschäftigte mehr als üblicher Weise erwartet wird, verpflichtet wird.

Fazit: Die Entscheidung des LAG Köln stellt sich damit gegen Entscheidungen anderer LAGs, die teilweise davon ausgehen, dass auch sieben Bewerbungen pro Woche keine ausreichenden Bemühungen darstellen. Es bleibt zu hoffen, dass das BAG sich dieser Entscheidungslinie anschließt. Schließlich könnte der Arbeitgeber das Risiko des Annahmeverzugs ja auch dadurch minimieren, dass er nach Ablauf der Kündigungsfrist eine so genannte Prozessbeschäftigung anbietet.



Recht zur Verrechnung von Zeitguthaben darf nicht zur Verschiebung des Betriebsrisikos auf die Beschäftigten führen

LAG Köln, Urteil vom 15.09.2023, 4 Sa 382/23


Im Betrieb gilt ein Tarifvertrag, der die Einrichtung eines Jahresarbeitszeitkontos ermöglicht. Die geleistete Arbeitszeit wird für jeden Beschäftigten in einem Zeitkonto erfasst. Erfasst werden auch diejenigen Stunden, die ohne Arbeitspflicht als gearbeitet gelten, also Feier-, Urlaubs- und Krankheitstage. Gleichzeitig wird ein Arbeitsstunden-Sollkonto geführt. Die Einteilung zu den Diensten und Schichten erfolgt einseitig durch den Arbeitgeber. Die Beschäftigten haben hierauf keinen Einfluss.

Das Arbeitszeitkonto des Beschäftigten wies ein Zeitguthaben haben auf. Im Laufe des Jahres hat der Arbeitgeber einseitig dieses Zeitguthaben mit dem Arbeitsstunden-Sollkonto verrechnet, was zur Folge hatte, dass der Beschäftigte im weiteren Verlauf des Jahres zu weniger bzw. zu keinen Schichten eingeteilt wurde. Hiergegen wehrte sich der Kläger und verlangte die Verrechnung rückgängig zu machen, in dem das Arbeitszeitkonto um die verrechneten Stunden korrigiert wird. Er bekam von Arbeitsgericht und auch vom LAG Recht.

Das LAG bergründet dies damit, dass das Arbeitszeitkonto eine Dokumentationsfunktion habe und daher der Arbeitgeber nach der Rechtsprechung des BAG nicht berechtigt ist, einseitig in das Arbeitszeitkonto einzugreifen (Verweis auf BAG vom 21.3.2012 – 5 AZR 676/11). Durch die vorgenommene Verrechnung greife der Arbeitgeber aber in das Arbeitszeitkonto ein. Zwar werden die Stunden nicht gestrichen; aber die Verrechnung für gleichfalls zu einer einseitigen Korrektur des Arbeitszeitkontos, was einer einseitigen Streichung gleichkomme und damit unzulässig sei. Durch diese Vorgehensweise verlagert der Arbeitgeber zudem in unzulässiger Weise das ihn treffende Betriebsrisiko auf die Beschäftigten. Käme nämlich der Arbeitgeber in Annahmeverzug, weil er nicht ausreichend Arbeit habe, so könne der Arbeitnehmer die Vergütung verlangen ohne zur Nacharbeit verpflichtet zu sein (§ 615 Satz 1 BGB). Durch die einseitige Verrechnungsmöglichkeit bestehe somit die Möglichkeit, dass Annahmeverzugsrisiko auf den Beschäftigten zu verlagern, was nicht zulässig ist.

Das LAG wies zudem darauf hin, dass im Betrieb durch Betriebsvereinbarung dem Arbeitgeber einseitig die Möglichkeit eingeräumt wurde, das Zeitguthaben (aber auch Fehlstunden) am Jahresende auf das folgende Jahr zu übertragen. Auch dieser Umstand führt vorliegend zu einer Unzulässigkeit der einseitigen Verrechnungsmöglichkeit. Denn durch diese Übertragungsmöglichkeit können die Beschäftigten nicht mehr nachvollziehen, aus welchem Jahr ein positives oder negatives Zeitsaldo resultiert. Dies führt dazu, dass den Beschäftigten das durch Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung eingeräumte Recht zur Auszahlung eines Guthaben genommen, aber mindestens deutlich erschwert wird.

Fazit: Selbst dann, wenn eine Jahresarbeitszeit bzw. ein Jahresarbeitszeitkonto geführt wird, darf der Arbeitgeber nicht einseitig in dieses eingreifen. Auch durch Betriebsvereinbarung darf damit dem Arbeitgeber ein solche einseitiges Recht nicht zugewiesen bzw. eingeräumt werden. Denn eine solche einseitige Eingriffsmöglichkeit verstößt nicht nur gegen die mit der dem Arbeitszeitkonto verbundenen Dokumentationspflicht der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit. Sondern eine solche einseitige Eingriffsmöglichkeit kann auch dazu führen, dass der Arbeitgeber das von ihm zu tragende Betriebsrisiko einseitig auf die Beschäftigten überträgt. Dabei ist eine solche Möglichkeit nicht erst dann unzulässig, wenn das Betriebsrisiko tatsächlich auf die Beschäftigten übertragen wird. Es genügt für die Unzulässigkeit bereits, dass die Möglichkeit der rechtswidrigen Übertragung möglich ist, so das LAG in aller Klarheit.



Abmahnung wegen Teilnahme an Betriebsratssitzung als Behinderung der Betriebsratsarbeit

Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 30.8.2023 – 12 TaBV 18/23


Der Betriebsrat tagt turnusgemäß immer mittwochs. Da der Gewerkschaftssekretär und die Anwältin an der turnusgemäßen Sitzung nicht teilnehmen konnten, lud der Betriebsratsvorsitzende zu einer außerordentlichen Sitzung am Freitag. Am Sitzungstag fanden einige Betriebsratsmitglieder den Geschäftsführer im Sitzungsraum vor, der sie aufforderte, wieder an die Arbeitsplätze zu gehen, die Sitzung sei nicht erforderlich. Wer an der Sitzung teilnehme, erhalte eine Abmahnung. Daraufhin wurde die Sitzung verschoben. Da der Geschäftsführer auch bei weiteren außerordentlichen Sitzung Betriebsratsmitgliedern im Vorfeld eine solche Abmahnung bei Teilnahme androhte, beschloss der Betriebsrat die Einleitung eines gerichtlichen Beschlussverfahrens, weil er in der Androhung eine rechtswidrige Behinderung seiner Arbeit sieht.

Der Arbeitgeber sah dies anders. Er argumentierte damit, dass die Sitzungen nicht erforderlich seien. Auch sei eine Abmahnung individulrechtlich zu verfolgen.

Das Arbeitsgericht und auch das Landesarbeitsgericht gaben dem Betriebsrat Recht. Wie oft und wann der Betriebsrat tage, obliege allein seiner Entscheidung und liegt in seiner Organisationshoheit. Daher dürfe der Arbeitgeber nicht mit Androhungen von Sanktionen an einzelne Mitglieder in dieses Recht eingreifen, denn diese Androhungen bezwecken allein das Ziel, das Recht zur Durchführung der Sitzung zu unterbinden. Dies stelle ein Behinderung der Betriebsratsarbeit dar, und zwar selbst dann, wenn der Geschäftsführer die Sitzung für nicht erforderlich halte. Fehle diese, müsse der Geschäftsführer vielmehr selbst das Arbeitsgericht anrufen und die Feststellung der Nichterforderlichkeit der Sitzung herbeibführen. Der Betriebsrat habe in solchen Fällen auch ein eigenes Recht verfolgt, denn das Recht, eine Sitzung durchzuführen, sei ein Recht, das dem Gremium zustehe; dieses dürfe nicht durch die Androhung von Sanktionen jeglicher Art, also auch das Androhen von Abmahnungen für den Fall der Sitzungsteilnahme untergraben werden.

Aber Achtung: der Betriebsrat hat hier nicht die Herausnahme der Abmahnung aus der Personalakte verlangt. Ein solches Herausnahmeverlangen wäre tatsächlich von jedem einzelnen Mitglied zu verlangen. Da der Betriebsrat aber hier erfolgreich war, hat das auch rechtliche Auswirkungen auf die erteilte Abmahnung: diese ist unwirksam. Ob in solchen Fällen dann noch zusätzlich der Entfernungsanspruch geltend gemacht werden soll oder muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist natürlich auch eine Frage der Kostentragung. Gewerkschaftsmitglieder können sich im Rahmen der Mitgliedschaft gebührenfrei vertreten lassen, so dass sie das Kostenrisiko nicht tragen müssen.



Erweiterung der Tagesordnung – ist ein gesonderter Beschluss erforderlich?

Landesarbeitsgericht Thüringen vom 24.10.2023 – 1 TaBV 25/21


Der Arbeitgeber legte dem elfköpfigen Betriebsrat die Anhörung zu der Einstellung einer Assistentin und deren Eingruppierung vor. Der Vorsitzende lud zu einer Sitzung unter Versendung der Tagesordnung. Auf dieser war die Anhörung jedoch nicht aufgeführt, da der Antrag des Arbeitgebers nach ordnungsgemäßer Einladung und Versendung der Tagesordnung einging.

Zu der Sitzung erschienen neun der elf Mitglieder. In der Sitzung beschlossen diese einstimmig, der Einstellung zuzustimmen, der Eingruppierung aber wegen einer zu niedrigen Entgeltgruppe die Zustimmung zu verweigern. Die anwesenden Mitglieder hatten aber zuvor keinen gesondeten Beschluss gefasst, die Tagesordnung entsprechend zu erweitern, sondern stimmten hierüber ab, als der Betriebsratsvorsitzende den Punkt zur Beschlussfassung aufrief.

Der Arbeitgeber zog vor das Gericht und wollte feststellen lassen, dass die Zustimmung des Betriebsrats zu der Eingruppierung als erteilt gilt und begründet dies mit dem Fehlen eines ordnungsgemäßer Beschlusses, da der Betriebsrat die Tagesordnung nicht durch einen gesonderten Beschluss erweitert habe.

Der Betriebsrat trug vor, dass seine Beschlussfassung ordnungsgemäß erfolgt sei, insbesondere habe eine ordnungsgemäße Ladung vorgelegen.

Das Landesarbeitsgericht folgte der Argumentation des Betriebsrats. Zunächst sei festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Ladung erfolgt sei. Der Betriebsrat sei auch beschlussfähig gewesen, denn es seien neun von elf Mitgliedern anwesend gewesen.

Die Tagesordnung sei auch ordnungsgemäß erweitert worden. Zwar sei hierüber kein gesonderter Beschluss gefasst worden. Für die Erweiterung der Tagesordnung genüge es aber, wenn keines der anwesenden Betriebsratsmitglieder der Beschlussfassung widersprochen habe und der Beschluss – wie hier - einstimmig gefasst worden sei. Einer gesonderten Beschlussfassung über die Tagesordnung bedürfe es in diesen Fällen somit nicht, denn sie sei implizid in der einstimmigen (!) Beschlussfassung über den Antrag enthalten.

Anmerkung: Das Landesarbeitsgericht dehnt damit die ohnehin schon bedenkliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Erweiterung der TO (zuletzt: 22.11.2017 – 7 ABR 46/16 und 15.4.2014 – 1 ABR 2/13) aus; die Gefahr, dass auch ohne Vorbereitung Beschlüsse getroffen werden, steigt damit. Auch der Minderheitenschutz, der zwar oft lästig, aber notwendiger demokratischer Grundsatz ist, wird dadurch weiter gefährdet.

Regina Steiner
Silvia Mittländer
Erika Fischer

Fachanwältinnen
für Arbeitsrecht

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